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Bewegung und Sport als Schutzfaktor für die psychische Gesundheit in Zeiten der Corona-Pandemie?
Zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 sagte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn den viel zitierten Satz: "Wir werden uns viel verzeihen müssen". Seitdem wurde in Politik, Medien, Fachverbänden bis zu privaten Haushalten über die Wirksamkeit, Folgen und Nebenwirkungen von Maßnahmen zur Eindämmung des Virus viel diskutiert. Seit der Pandemie ist ein Anstieg von Angstzuständen, Depressionen, Einsamkeit und Stress zu verzeichnen. Viele Menschen wurden aufgrund von sozialer Isolation, Arbeitslosigkeit und anderen Herausforderungen mit Einschränkungen konfrontiert. So wurden im Zuge der Pandemiebekämpfung Beschränkungs- und Isolationsmaßnahmen auf politischer Ebene abgewogen und angeordnet, wobei die Auswirkungen auf jeden Einzelnen nicht abzusehen waren. Inwiefern hierbei Situationen eingetreten sind, in denen die Betroffenen "viel zu verzeihen" haben und welche Faktoren dazu führten, dass mit möglichen Folgen der Pandemie besser umgegangen werden konnte, ist Gegenstand aktueller Forschung.
So haben sich Studien mit der psychischen Gesundheit der Menschen während der Corona-Pandemie befasst. Dabei konnte festgestellt werden, dass sich weltweit die Anzahl der Menschen mit Depressionssymptomen und auch Suizidgedanken erhöht hat (z.B. Brailovskaia et al., 2022; Puterman et al., 2021). Hier soll aber angemerkt werden, dass diese Art der Studien keine Aussagen zu Kausalzusammenhängen zulassen: es ist also nicht gesichert, dass die Häufung von Depressionssymptomen und Suizidgedanken durch Maßnahmen der Pandemiebekämpfung oder durch die Pandemie selbst verursacht wurden.
In einer deutschen Langzeitstudie von Brailovskaia und KollegInnen (2022) wurden Prädiktoren von Suizidgedanken in Deutschland untersucht, die während der Corona-Pandemie im Zusammenhang mit physischer Aktivität, psychischer und physischer Gesundheit identifiziert wurden.
Suizid ist gerade unter Jüngeren eine der häufigsten Todesursachen. In der Altersgruppe der 15-29 Jährigen ist Suizid die vierthäufigste Todesursache nach Straßenunfällen, Tuberkulose und zwischenmenschlicher Gewalt (Brunier & Drysdale, 2021). Suizidgedanken gelten somit als ein starker Prädiktor für einen Suizidversuch.
Es werden mehrere Faktoren diskutiert, die zu einem Anstieg der Suizidgedanken und Selbstmordversuche beigetragen haben könnten, darunter:
- Einschränkungen im Zugang zur Gesundheitsversorgung: Die Pandemie hat dazu geführt, dass viele Menschen den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen nicht mehr in der gewohnten Form erhalten haben und damit auch notwendige Unterstützung ausblieb, die für den Umgang mit psychischen Problemen erforderlich ist.
- Isolation und Einsamkeit: Die soziale Distanzierung, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, hat viele Menschen von ihren Freunden und Familien getrennt und somit möglicherweise zu einer Verschlimmerung ihres Zustands geführt.
- Finanzielle Schwierigkeiten: Wer aufgrund der Pandemie seine Arbeit verloren hat, musste in der Folge mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfen, was wiederum Stress und Angst auslösen und zu Suizidgedanken führen konnte.
Angst und Stress wirken negativ auf die psychische Gesundheit. Psychische Gesundheit wird als Zustand des Wohlbefindens verstanden, der es Menschen ermöglicht, ihr volles Potenzial zu entfalten und ihr Leben auf positive Weise zu gestalten. Psychische Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von psychischen Erkrankungen, sondern auch das Erleben von positiven Emotionen sowie das Selbstverständnis in der Lage zu sein, mit Schwierigkeiten und Herausforderungen umzugehen (Resilienz oder psychische Widerstandsfähigkeit). Resilienz wirkt schützend gegen suizidale Gedanken und suizidales Verhalten.
In der oben erwähnten Langzeitstudie von Brailovskaia und KollegInnen (2022) wurden die Daten von 406 in Deutschland lebenden Menschen ausgewertet, die im Frühjahr 2020 und ein Jahr später im Frühjahr 2021 noch einmal befragt wurden. Die Forschungsgruppe konnte einen signifikanten Anstieg der Depressions-, Angst- und Stresssymptome feststellen.
Über den untersuchten Zeitraum haben sich neben einer Verstärkung der Depressions-, Angst- und Stresssymptome auch die positive psychische Gesundheit, das Kontrollgefühl und die physische Gesundheit verschlechtert.
Bei der Untersuchung der Prädiktoren von Suizidgedanken zeigte sich, dass die Variablen »Depressionssymptome«, »positive psychische Gesundheit« sowie »bewusst erhöhte körperliche Aktivität seit Ausbruch der Pandemie« gemessen am Anfang des Befragungszeitraums die Suizidgedanken nach 12 Monaten vorhersagen konnten. Die Beziehung zwischen »Depressionen« und »suizidalen Gedanken« wurde signifikant durch »positive psychische Gesundheit« beeinflusst. Das bedeutet, »positive psychische Gesundheit« wirkte sich abmildernd auf das Auftreten von Suizidgedanken aus. Zudem wurde herausgefunden, dass »bewusst erhöhte körperliche Aktivität» signifikant moderierend in der Beziehung zwischen »positiver psychischer Gesundheit» und den Suizidgedanken wirkte.
Das deutet möglicherweise darauf hin, dass sich die bewusste Erhöhung der körperlichen Aktivität verstärkend auf die psychische Gesundheit auswirken kann. Insgesamt lässt das die Schlussfolgerung zu, dass körperliche Aktivität ein schützender Faktor ist und daher besonders gefördert werden sollte, um Suizidgedanken und -versuche zu verhindern. Die schützende Wirkung von Bewegung könnte besonders wichtig für Menschen sein, die starke Depressionssymptome und dazu noch eine niedrige »positive psychische Gesundheit« haben, zum Beispiel bei klinischen Patient*innen.
Nicht nur in der Studie von Brailovskaia und KollegInnen (2022) zeigte sich körperliche Aktivität als schützender Faktor für depressive Symptome. Die Forschungsgruppe um Eli Puterman (2021) hat eine randomisiert kontrollierte Multigruppenstudie in Kanada durchgeführt und die Auswirkungen von App-basierten Sportprogrammen für zuhause auf depressive Symptome während der Anfangszeiten der Corona-Pandemie untersucht.
Auf Grundlage der bestehenden Literatur, die eine positive Wirkung von Sport und Bewegung auf die Reduzierung depressiver Symptome in klinischen und nicht klinischen Gruppen zeigt, haben die ForscherInnen die Wirkung verschiedener Sportprogramme (High intensity interval training (HIIT), Yoga, HIIT und Yoga) getestet. Über einen Zeitraum von sechs Wochen haben die TeilnehmerInnen trainiert. Alle Sportgruppen wurden aufgefordert, mindestens viermal wöchentlich eine 20 Minuten App-basierte Session zu absolvieren.
Insgesamt nahmen 334 eher wenig aktive Erwachsene an der Studie teil. Die TeilnehmerInnen wurden randomisiert auf die Experimentalgruppen und eine Warteliste-Kontrollgruppe aufgeteilt. Nach sechs Wochen konnte eine signifikante Verringerung der depressiven Symptome der aktiven Gruppen gefunden werden, verglichen mit der Warteliste-Kontrollgruppe. Der Rückgang der Depressionssymptome war jedoch nur klein.
Die Sportgruppen zeigten keine signifikanten Unterschiede untereinander. Das heißt, es gab kein Sportprogramm, das eine wesentlich stärkere oder schwächere Wirkung hatte als die anderen. Sehr große Effektgrößen wurden dennoch gefunden, wenn sich die Analyse auf TeilnehmerInnen beschränkte, die schon zu Beginn der Studie sehr starke depressive Symptome hatten.
Folglich kann das Training zuhause ein sehr wirkungsvoller Faktor sein, um die psychische Gesundheit von Erwachsenen während einer Pandemie nicht nur zu schützen, sondern sogar zu verbessern. Zuhause zu trainieren kann insbesondere für Menschen mit vermehrt depressiven Symptomen förderlich sein. Regelmäßige körperliche Aktivität hat nachweislich positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und kann dazu beitragen, die Symptome von Depressionen und Angstzuständen zu lindern. Daher sollte das Training in den eigenen vier Wänden gefördert und beworben werden.
Falls Sie Suizidgedanken haben sollten, wenden Sie sich an eine/n Psychotherapeut/in. In akuten Fällen zögern Sie nicht und gehen Sie ins Krankenhaus, um Hilfe zu bekommen.
Dieser Artikel wurde geschrieben von Hanna Zimmel und Laura L. Bischoff.
Literatur
Brailovskaia, J., Truskauskaite-Kuneviciene, I., Kazlauskas, E., Gelezelyte, O., Teismann, T., & Margraf, J. (2022). Physical activity, mental and physical health during the Covid-19 outbreak: Longitudinal predictors of suicide ideation in Germany. Journal of Public Health. https://doi.org/10.1007/s10389-022-01708-0
Brunier, A., & Drysdale, C. (2021). One in 100 deaths is by suicide. World Health Organization. https://www.who.int/news/item/17-06-2021-one-in-100-deaths-is-by-suicide
Puterman, E., Hives, B., Mazara, N., Grishin, N., Webster, J., Hutton, S., Koehle, M. S., Liu, Y., & Beauchamp, M. R. (2021). COVID-19 Pandemic and Exercise (COPE) trial: A multigroup pragmatic randomised controlled trial examining effects of app-based at-home exercise programs on depressive symptoms. British Journal of Sports Medicine, 56(10), 546–552. https://doi.org/10.1136/bjsports-2021-104379