„Ist das das Finale?!“
Gehirnerschütterungen im Ballsport, Symptome und (Langzeit)Folgen
„Ist das das Finale?“, fragte Christoph Kramer orientierungslos im Fußball WM-Finalspiel 2014 den Schiedsrichter. Zu dieser starken Verwirrung kam es durch einen harten Zusammenprall zwischen der Schulter seines Gegenspielers und seinem Kopf und einer daraus resultierenden Gehirnerschütterung. Das ist kein Einzelfall. Sowohl im Profi- als auch im Amateursport und insbesondere in Ball- und Kontaktsportarten, wie Fußball, Handball, Basketball und Volleyball sind die Prävalenzen von Gehirnerschütterungen hoch (Helmich, 2018).
In einer Fragebogenstudie aus dem Jahr 2018 vergleicht Jun.-Prof. Dr. Ingo Helmich die Häufigkeiten von Gehirnerschütterungen in verschiedenen Sportarten und geht der Frage nach, welche sportartspezifischen Faktoren das Auftreten von den sogenannten „mild traumatic brain injuries“ (mTBI) begünstigen: Game-specific characteristics of sport-related concussions.
Untersucht wurden die vier oben genannten Ball- bzw. Kontaktsportarten Fußball, Handball, Basketball und Volleyball mit einer Stichprobe von N = 3.001 Teilnehmer*innen, die die jeweilige Sportart als Freizeitsport, als Amateursport im Verein (bis 4. Liga) oder als Profisport (1.-3. Liga) betrieben. Es wurden sportartenspezifische Online-Fragebögen eingesetzt, um zu erfassen, ob die Sportler*innen in ihrem Sport schon einmal eine Gehirnerschütterung erlitten haben. Darüber hinaus wurden mögliche Einflussfaktoren erfragt wie zum Beispiel die Spielposition, -situation oder bestimmte Taktiken.
Insgesamt haben 18% der Teilnehmer*innen von einer Gehirnerschütterung im Sport berichtet.

Ein Viertel der Fußballspieler*innen, 24% der Handballer*innen, 15% der Basketballer*innen und 13% der Volleyballspieler*innen gaben an, schon einmal eine Gehirnerschütterung erlitten zu haben. Es gab nicht nur Unterschiede in der Auftretenshäufigkeit von Gehirnerschütterungen in den einzelnen Sportarten, sondern auch in Bezug auf das Expertiselevel der jeweils betriebenen Sportart: Während Handball- und Fußballspieler*innen die meisten Gehirnerschütterungen auf Amateurebene erlitten, zogen sich Volleyballspieler*innen eher auf Profisport-Niveau und Basketballspieler*innen im Freizeit-Kontext Gehirnerschütterungen zu.
Ein signifikanter Unterschied zeigte sich auch in der Art, wie es zu der Kopfverletzung kam: Fußballspieler*innen erlitten die meisten Gehirnerschütterungen durch einen Zusammenprall mit einer/m anderen Spieler*in, Volleyballspieler*innen dagegen durch Treffer durch den Ball. Auch im Basketball und Handball sind eher Kollisionen mit Spieler*innen Ursache für eine Gehirnerschütterung.
Mit Blick auf die Spielsituation, traten Kopfverletzungen im Handball und Volleyball eher in Abwehrbewegungen auf, während es im Fußball und im Basketball in Angriffssituationen am häufigsten zu Gehirnerschütterungen kam. Beim Fußball und im Volleyball zeigte sich zudem ein Unterschied zwischen den Spielpositionen: Fußballtorhüter*innen und defensive Mittelfeldspieler*innen sowie die Libero- und Außenposition im Volleyball wiesen die meisten Gehirnerschütterungen auf.
Symptome, Anzeichen und Folgen von Gehirnerschütterungen:
Gehirnerschütterungen zeichnen sich durch verschiedene physische, kognitive, emotionale und den Schlaf betreffende Symptome aus, die je nach Schwere der Verletzung unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und daher leichter oder schwerer erkannt werden.
Anzeichen und Symptome von Gehirnerschütterungen (Toledo et al., 2012):
Symptomkategorie | Symptome | |
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Physisch/ Körperlich |
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Kognitiv |
| |
Emotional |
| |
Schlaf |
|
Eine Gefahr besteht in wiederkehrenden Kopfverletzungen, u.a. durch vorher nicht erkannte oder ignorierte Gehirnerschütterungen, die eine weitere Verletzung wahrscheinlicher machen. Wenn mit einer Gehirnerschütterung weiter gespielt wird oder zu früh wieder mit dem Sport begonnen wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Gehirnerschütterung. Dies kann zum Beispiel durch verlangsamte Reaktionszeiten oder verzögerte Informationsverarbeitungen verursacht werden. Besonders mehrere mTBIs können ein stark erhöhtes Risiko für Langzeitfolgen darstellen. Beispielsweise hat eine Studie heraus gefunden, dass bei 177 von 202 untersuchten verstorbenen American Football Spielern eine chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE) festgestellt wurde (Mez et al., 2017).

CTE bezeichnet eine fortschreitende Degeneration von Hirnzellen (Neuronen), verursacht durch multiple Kopfverletzungen. Da American Football ein Vollkontaktsport ist, bei dem es vermehrt zu Gehirnerschütterungen kommen kann, sind multiple Gehirnerschütterungen in der aktiven Sportkarriere wahrscheinlicher und somit das Risiko für Langzeitfolgen wie CTE erhöht.
Problematisch sind Gehirnerschütterungen demnach insbesondere, wenn sie nicht erkannt werden und nicht entsprechend reagiert wird. Helmich (2018) diskutiert in seiner Studie mögliche Hindernisse aus der Sportpraxis, die ein Weiterspielen trotz Gehirnerschütterung begünstigen: Zum einen würden Kollisionen häufig als „nicht so schlimm“ eingeschätzt und keine medizinische Untersuchungen angefordert, zum anderen seien Spieler*innen so motiviert zu spielen, dass sie sich nicht auswechseln lassen wollen. Schließlich gäbe es auch nach wie vor einen Mangel an Bewusstsein für eine mögliche Gehirnerschütterung (Helmich, 2018).
Was bedeutet das für die Sportpraxis?
Die meisten Gehirnerschütterungen scheinen bei Ballsportarten im Amateur- und Freizeitbereich stattzufinden. Hier ist nicht immer geschultes medizinisches Personal vor Ort, welches im Zweifel „mild traumatic brain injuries“ (mTBI) diagnostizieren und behandeln kann. Daher ist es von besonderer Wichtigkeit, gerade im Amateurbereich über Gehirnerschütterungen und die entsprechenden Symptome sowie eine geeignete Reaktion aufzuklären. Trainer*innen sowie Betreuer*innen sollten geschult werden, eine Gehirnerschütterung zu erkennen. Die/der Spieler*in muss im Zweifel umgehend aus dem Wettkampf oder Training genommen werden. Es gilt immer: „When in doubt, take them out." Die Diagnosesicherung erfolgt anschließend durch eine/n Ärzt*in. Die Anzahl und der Schweregrad der anfänglichen Symptome ist dort der beste Prädiktor für die Dauer der Genesung.
Dieser Artikel wurde geschrieben von Hanna Zimmel & Laura L. Bischoff.
Sports, Medicine and Health Summit 2023
Der Sports, Medicine and Health Summit ist ein interdisziplinäres Fortbildungsforum für Mediziner*innen, Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus Sport, Medizin und Gesundheit. Neu ist die einzigartige Verbindung aus Theorie und Praxis: Ein Kongressformat also, das einen Austausch über die Fachgrenzen hinaus ermöglichen soll. Ein Schwerpunkt des Summits 2023 wird Neurologie im Breiten- und Leistungssport sein. Nationale und internationale Koryphäen aus der Wissenschaft, aber auch aus dem Sport, werden hier fächerübergreifend diskutieren und neuste Erkenntnisse vorstellen. Der Summit findet vom 22. bis 24. Juni 2023 in Hamburg statt.
Literatur
Helmich, I. (2018). Game-specific characteristics of sport-related concussions. The Journal of Sports Medicine and Physical Fitness, 58(1–2), 172–179. https://doi.org/10.23736/S0022-4707.16.06677-9
Mez, J., Daneshvar, D. H., Kiernan, P. T., Abdolmohammadi, B., Alvarez, V. E., Huber, B. R., Alosco, M. L., Solomon, T. M., Nowinski, C. J., McHale, L., Cormier, K. A., Kubilus, C. A., Martin, B. M., Murphy, L., Baugh, C. M., Montenigro, P. H., Chaisson, C. E., Tripodis, Y., Kowall, N. W., … McKee, A. C. (2017). Clinicopathological evaluation of chronic traumatic encephalopathy in players of American Football. JAMA, 318(4), 360. https://doi.org/10.1001/jama.2017.8334
Toledo, E., Lebel, A., Becerra, L., Minster, A., Linnman, C., Maleki, N., Dodick, D. W., & Borsook, D. (2012). The young brain and concussion: Imaging as a biomarker for diagnosis and prognosis. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 36(6), 1510–1531. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2012.03.007